Björn Dämpfling – Vita

  • 1949 in Köln geboren, verheiratet, 2 Kinder
  • 1969 Abitur, Gymnasium Nordenham
  • 1975 Diplom in Politikwissenschaft, FU Berlin
  • 1981 Promotion in Volkswirtschaftslehre, FU Berlin
  • 1983 Forschung in Harvard / MA
  • 1987 Forschung in North Carolina (UNC)
  • 1990 Forschung in Harvard / MA
  • 1991 Forschung und Lehre in VWL, FU Berlin
  • 1995 Geschäftsführer einer GmbH für ökologischen Hausbau
  • 1997 Entscheidung Kunst zur ersten Profession zu machen

Vor einer Reihe von Jahren (es wird etwa ein Jahrzehnt zurückliegen) hatte ich auf Grund mancher Gespräche den Eindruck, dass Kunstkäufer eigentlich am liebsten den Künstler (oder die Künstlerin) mitnähmen, also kaufen möchten. Und nur weil das aus einsichtigen Gründen nicht geht, nehmen sie als Ersatz ein Bild oder eine Skulptur.

Ausstellung Björn Dämpfling

Käufer sind, so fühlte ich es immer sehr deutlich, mehr an der schöpferischen, kreativen Potenz des Künstlers interessiert, als an dem Ergebnis, das sie prinzipiell ja jeden Moment geistig fordert oder aber teilnahmslos mit ihnen den Wohn- und Lebensraum teilt. Als ich Björn Dämpfling erstmals zu Beginn dieser Woche begegnete, kam mir dieser Gedanke wieder in Erinnerung, denn vor mir stand ein Mann, der dieses „Künstler-Bild“ von Vibration, Angespanntheit und ständiger Aktivität wie eine eigene Atmosphäre mit sich führte.

Seine Erläuterungen zu den Arbeiten waren weit weniger Erläuterungen als vielmehr eine körperlich-verbale Form der Kunst-Emanation – und das meine ich nicht im psychologischen Sinn, sondern so nüchtern ernst wie es Gerschom Scholem in seinen Grundzügen der jüdischen Mystik benutzt oder wie ich Hölderlins Kombination vom „heilignüchternen Wasser“ verstehe, die er in seinem Gedicht „Hälfte des Lebens“ benutzt:

Hälfte des Lebens

Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser.
Weh mir, wo nehm ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein,
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.

Die einzelnen Arbeiten entstehen in einem langwierigen Prozess, der analoge und digitale Parts miteinander verbindet. Es ist ein Prozess, der Formen wachsen lässt, sie konterkariert, sich in Andeutungen ergehen lässt, aber dennoch in keiner Weise auf ein Ganzes zielt oder ein Ganzes, ein deutbares Ganzes, ergibt.

Die Darstellungsweise, also etwa den Formenkanon, von Dämpfling kann man durchaus mit dem Œuvre anderer Künstler in Verbindung bringen: mit Schröder-Sonnenstern etwa, mit Bernhard Schultze und seinen Migof-Arbeiten (auch mit denen seiner Frau Ursula), in vager Assoziation auch mit Jean Dubuffet. Was Björn Dämpfling anders macht, ist die permanente Brechung von erkennbaren Stilelementen in fast jedem einzelnen Bild.

Genauer müsste ich sagen: die „Bilder“ von Björn Dämpfling sind keine Bilder. Sie sind nicht, was wir unter einem Bild verstehen: einen Bedeutungsträger. Gern verweist Dämpfling auf den hohen Anteil an mechanisch-technischer Arbeit bei der Erstellung seiner Werke. Und das einzige, was er von ihnen erwartet, ist: „das muss mir gefallen“; – vorsichtiger ausgedrückt: das Ergebnis seiner Tätigkeit muss ihm gefallen – was zwingend einschließt, dass das Produkt auch ein gutes Gefühl für die körperlich-handwerkliche Arbeit vermittelt.

„Was mich treibt,“ sagte Dämpfling in unserem Gespräch: „die Freiheit, zu machen, was ich will“ und das meint: „Immer neue Bilder machen zu können“, nie in die Versuchung zu kommen, etwas vielleicht zu wiederholen oder erkennbar zu variieren.

Und damit die Gleichwertigkeit alles Entstandenen und Akzeptierten wirklich ganz klar ist, fügt er hinzu: „Es würde mich seelisch verletzen, wenn ich etwas hierarchisieren sollte.“ – Diesen Zustand hat man gerne als Anarchie bezeichnet: keine Anerkennung irgendeiner verbindlichen Ordnung, Macht oder Autorität. „Wenn man so etwas wie diese Bilder in die Gehirnsuppe spucken würde, wäre es mit der Logik bald vorbei“, folgert Björn Dämpfling völlig zurecht.

Die Zertrümmerung oder Unbrauchbarmachung des Bildes für Vor- und Nachbildaspekte ist ein weiterer – vielleicht sogar der letzte – Schritt der Distanzierung vom klassischen Kunstverständnis. Dämpfling gestaltet den Antipoden der Monochromie. Er überfüttert uns mit gestalterischen Brechungen. Was Dämpfling mit dem Farben- und Formenspiel der Bildenden Kunst macht, würde ich mit Kurt Schwitters Wort- und Schallgedichten, wie der „Ursonate“, oder mit Gedichten des jüngst verstorbenen Oskar Pastior vergleichen. Schwitters ist mir dabei der naheliegendere Gewährsmann, nicht Hannovers wegen, sondern seiner vielfältigen Begabungen und Betätigungen wegen. Als Maler, Collageur, Grafik-Designer (=Gestalter), Lyriker und Erzähler und als Architekt visueller Welten, seiner Merz-Bauten.

Wenn Sie in der Einladung die Vita von Björn Dämpfling gelesen haben, bevor Sie hierher kamen, dann werden Sie sich vielleicht, sowie ich, gefragt haben, woher der Mut, die starke Neigung oder gar der Zwang kamen, sich vom (scheinbar) sicheren Terrain der Wissenschaft auf das unsichere Terrain der Kunst zu begeben. „Ich habe immer in Parallelwelten gelebt“, gab mir Dämpfling zur Antwort. Er ist mit dem sehr guten Rüstzeug eines hervorragenden Verstandes und eines ebenso hervorragenden Zeichentalentes aufgewachsen. Weil er damit alles darstellen konnte, interessierte ihn keine Kopie. So wie andere Künstler dann meisten beginnen, nur mit der linken Hand zu zeichnen oder zu malen, weil sie das nicht gut können, so suchte sich Björn Dämpfling den Widerstand im neuen Medium des Computers. Er arbeitete schon mit den ersten PC Modellen, aber er hat auch früh zur Kamera gegriffen, es aber wieder sein gelassen, denn er fand auf seinen Fotos nicht das wider, was er vor dem Auslösen gesehen hatte.

Jetzt sieht er am Ende seines Schaffensprozesses das, was er vorher nicht gesehen hatte, denn mit dem elektronischen Zeichenstift erschafft und beschwört er eine Welt, die davor noch nicht existierte – und von deren Zustand er auch keine Ahnung hatte.

Ob Ihnen die Arbeiten von Björn Dämpfling gefallen, ob Sie sie um sich haben mögen, das hat in dieser Ausstellung und bei diesem Künstler nichts mit Zeitgeschmack zu tun, sondern nur mit Ihrem eigenen Geschmack. Denn die Formen und auch die Farben der Arbeiten können Sie sich durchaus einprägen, aber das „Bild“, das Spiel der Detailgestaltungen, verweigert sich jeder Memorierung. Sie werden unruhig werden oder mit Freuden immer wieder mit der Nase oder einer Lupe andere Bereiche eines Blattes untersuchen. Dann sehen Sie ein friedliches Beieinander von klaren scharfen und verschwommen unscharfen parts, von linearen Elementen und farbdeckenden Flächen, so beim titelgebenden Blatt „Anderwelt“. Oder sie verfolgen Fische, Federvieh, Kraken, Schlangen, humanoide Gesichter, Würmer und sonstige Kobolde im „Fischtraum“, wo alles vom Zweidimensionalen ins Dreidimensionale kippt und vergnüglich auch wieder zurückklappt.

Am meisten Freude hat mit das Zoomen in den Abbildungen in der PDF-Datei des digitalen Katalogs gemacht. Da spürt man, wie man jegliche Übersicht verliert und dabei doch immer wieder neue Einblicke gewinnt.

Einen Nachtrag zum Schluss, der mir in den Sinn kam, als ich im letzten Raum im oberen Stockwerk die Fotos von Dämpfling sah: künstlerisch zu arbeiten hat immer auch viel mit Stetigkeit und Beharrungsvermögen zu tun. Die Blickwinkel seiner Fotos sind häufig nicht so, dass der Fotoliebhaber entzückt ist. Es sind eher sperrige Formen, die im Bild auftauchen, und ungewöhnliche Ausschnitte.

Da Dämpfling seine Fotos keinem Kunstzwang unterwirft, wohl aber seinem Wunsch, immer wieder ein neues Bild zu machen, sind auch sie nicht stilgebunden. Dennoch: weitermachen erwirkt einen Wiedererkennungswert, den auch Björn Dämpfling nicht negiert. Und wer sich lange genug dargestellt hat, der wird auch akzeptiert und der schreibt auch „Stilgeschichte“ (selbst wenn er keinen Stil haben möchte) und setzt dadurch Markierungen (die dann oft zu Marken werden).

Heinz Thiel