Ausstellung Mordmüller – Winner – Zimmermann

Venezia – Venice – Venedig – Venise

Gerd Winner, Rainer Mordmüller und Manfred Zimmermann fuhren als Künstler-Triumvirat im April 2005 nach Venedig. Es war eine Arbeitsreise, denn sie wollten ja eine Mappe machen. Eine Woche Zeit hatten sie sich gegeben. Das Portrait, das dabei entstanden ist, ist vielleicht kein allgemein gültiges Venedig-Bild. Vielleicht sehen Sie überhaupt kein Venedig-Portrait, sondern drei Künstler-Portraits. Beides trifft wohl zu.

Mordmüller ist Zeichner, Zimmermann ist Fotograf und Winner ist ein konzeptioneller Maler, der alle seine Arbeiten mit der Kamera vorbereitet und in der eigenen Siebdruckerei dann drucken läßt. Den Siebdrucken, die in der Venedig-Mappe von Gerd Winner enthalten sind, sieht man das komplizierte Entstehungsverfahren nicht an – und ob die Collagetechnik (das Drehen und Versetzen des oder der Motive) in der Kamera oder erst beim Druck geschehen ist, das kann man den Blättern erst recht nicht ansehen.

Manfred Zimmermanns Venedig-Beitrag ist kein typischer Fotografenbeitrag; wer von der Profession Zimmermanns nichts weiß, würde auch wohl eher auf einen Zeichner als auf einen Fotografen tippen. Das ist nicht weit von seinen Gedanken entfernt, denn er sagte mir, dass er für seinen Beitrag wusste, „die Bilder mussten durch das Wasser gezeichnet werden“. Er fuhr also mit den Schiffen, den Vaporetti, um die schwimmenden Stadtteile von Venedig herum, stellte ein Stativ auf dem Schiff auf und öffnete das Objekt immer wieder für lange Belichtungen. Diese Arbeiten nennt Manfred Zimmermann zutreffend „Lichtzeichnungen“. Auf die Arbeitszeiten anspielend, spricht er davon, dass er mit „dunklem Licht“ arbeiten musste. Er war der Abend- und Morgendämmerungsarbeiter.

Wenn Sie sich die anderen Venedig-Fotos von Manfred Zimmermann ansehen, dann erkennen Sie den Unterschied zwischen Fotografie und Lichtzeichnungen auf einen Blick. Da auch diese Aufnahmen vom Boot aus gemacht worden sind, kann man den Einsatz an technischem Wissen und Einfühlungsvermögen ermessen. In seiner so ruhigen und zurückhaltenden Art ließ er im Gespräch in nur einem Satz anklingen, dass zu beiden Arbeiten ein gerüttelt Maß an Können notwendig ist. „Ich weiß ja wie Wasser reagiert“, sagte er, „ich bin ja Segler“.

Eine Besonderheit dieser Ausstellung liegt darin, dass man nicht nur die Venedig-Bilder sieht, sondern auch Arbeiten, die im zeitlichen Umfeld entstanden sind. Somit kann man ermessen, was Venedig verändert oder wieder belebt hat bei den Künstlern. Bei Manfred Zimmermann ist es die „Lichtzeichnerei“, die er sehr früh in seiner Fotografenlaufbahn schon erprobt hatte.

Bei Gerd Winner, der in seinen jungen Jahren als der deutsche Pop-Künstler galt, als einer derjenigen, die die internationale Sprache der zeitgenössischen westlichen Kunst nach Deutschland holten, knüpfen auch aktuelle Beschäftigungen wieder an frühe Erfahrungen an. Winner ist mit seinen Siebdrucken der Londoner Road Marks und der Dock-Einsamkeiten im Musee Imaginaire seiner Zeitgenossen fest verankert und er ist als der Bild-Architekt der Metropolen ein Seismograph unserer Gefühle von Geborgenheit, Repräsentation und vielleicht auch Einsamkeit geworden.

Er hat seine „Handschrift“ in der Venedig Mappe nochmals verdeutlicht, ist bei der repräsentativen Außenansicht der Architektur geblieben, während er in der Atelierarbeit längst ins Innere gegangen war. Im oberen Stockwerk hängt eine größere vertikale Leinwandarbeit mit starken Farben und einer erkennbaren Engel-Skulptur, die den Weg weist zu seinen überraschend nervösen, erregenden Figuren-Zeichnungen.

Der Engel hält ein Kreuz in der rechten Hand, das leicht erhoben ist. Über dem weißen Engel sind zwei kräftige Farbflächen: blau und rot. Die Farben sind aber nicht nur Farbflecken; es sind die von der Farbe gezeichneten Körper zweier weiterer Engel. Der rote Körper gehört der Nike, der blaue einer Engelsfigur, die ebenso wie die erkennbare Statue in Rom auf einer Tiberbrücke steht (der nächsten zur Engelsbrücke). Die geflügelten Engel verbinden die heidnische Kultur der Römerzeit mit dem Erstarken des christlichen Glaubens. Das Zeichen des Kreuzes, der Hinweis auf ein Über-Kreuz-Liegen und auf die Notwendigkeit der Entscheidung im Angesicht einer Kreuzung ist in der Kirchenarchitektur und der plastischen Menschengestaltung der christlichen Kunst der Verweis auf die dem Menschen mögliche Gottesahnung. Road Marks und Cross Roads aus Winners frühen Jahren sind im Grund nur die säkularen (Vor-)Ausformungen. Die Entscheidungen spielen sich im Inneren ab. Dem Kreuz und den Entscheidungen zum Kreuz durch eine Körpersprache Worte zu verleihen – dafür stehen die 15 Zeichnungen von Gerd Winner.

Der spiritus rector dieser Venedigfahrt und dieser Mappe ist Rainer Mordmüller. Er hat die Idee formuliert und propagiert. Rainer Mordmüller ist ein fulminanter Zeichner, der (wie auch Gerd Winner) einen Großteil seines bisherigen Künstlerlebens als Professor lehrend verbrachte und auf sanfte Weise mit dem künstlerischen Erbe des Abendlandes umgegangen ist. Mordmüller war nie ein Avantgardist. Aber er hat in seiner Arbeit auch nicht die Gegenwart ignoriert, sondern in ihr seine Reflektionen über das Erbe der Väter verankert.

Seit nahezu zwanzig Jahren lehrt er regelmäßig im Sommer in einer venezianischen scuola graphica. Mordmüller nimmt venezianische Gegenwart in seinen Zeichnungen auf, das nämlich, was die Menschen in den Kirchen und Museen finden. Mordmüller ist nicht detailversessen, aber er liebt das Detail, besser: den Ausschnitt, der Dynamik und Bewegung verdeutlicht (mouvement und Motivation).

Was den Zeichner an Venedig fasziniert, das gilt auch für sein Interesse an der in Venedig zu sehenden Kunst: die Offenheit für das Fremde. „Den Venezianern ist es gelungen, das Fremde zu integrieren, ohne das Eigene aufzugeben“ sagte er und charakterisierte damit auch, was es ihm und vielen anderen so leicht macht, sich dort angenommen zu fühlen. Mordmüller taucht in die Bildwelt der venezianischen Meister ein, wie er in Historie und Gegenwart des Lebens in dieser Stadt durch seine Sprachfertigkeit eintaucht. Wer den Ausschnitt als das Ganze zu erleben weiß, der hat wahrlich ein entscheidendes Stück mediterraner Weisheit erfasst.

Heinz Thiel